27. Juli 2022

Puzzeln bis der Rohbau steht

In der Stadt Zürich baut die Anliker AG die alte Kehrichtsverbrennungsanlage KVA Josefsstrasse zur Energiezentrale um. Auf dem Areal entsteht das neue Betriebsgebäude zum komplexen Wärmeversorgungssystem, das in Ablösung für die bisherige Fernwärme der Bevölkerung von Zürich West im Winter die nötige Heizwärme liefert. Das Besondere an dieser Baustelle: Der Rückbau, der Neubau und die Installation der Rohrleitungen findet alles gleichzeitig statt. Ein Augenschein auf einer Baustelle, wo ohne gute Absprachen gar nichts läuft.

Text und Fotos: Anita Bucher

„Über 20 Bodenplatten haben wir hier bereits betoniert“, erzählt Anliker Polier Rolf Flückiger und meint damit all die Teilstücke, die bis im Herbst 2023 die Gesamtbodenplatte für das neue Betriebsgebäude bilden sollen. Viele davon sind nur um die 2 Meter gross, dann ist da wieder eine alte Wandscheibe vom verwinkelten bisherigen Gebäude, die noch abgerissen werden muss, und um welche die Bauleute herumbauen müssen. Manchmal sind es auch die als Zwischenlösung installierten Pipelines oder die sechs Wassertanks, die für die Wärmeaufbereitung zuständig sind, seit die KVA den Betrieb im März 2021 eingestellt hat.

Schwierige Rückbauten
Warum aber dauern die Abbruch-Arbeiten der alten KVA so lange? Schliesslich ist die Aregger AG mit Ihrem Europaweit grössten Rückbau-Bagger A-Rex bereits seit Juni 21 vor Ort. „Die grosse Schwierigkeit liegt sicher darin, dass wir bei vollem Betrieb Auf- und Rückbauen müssen“, erklärt Rolf Flückiger. Bei so vielen Leitungen und Pipelines ist das eine knifflige Angelegenheit. Ein ganzes Bündel Leitungen hängt beispielsweise zuoberst unterhalb vom Dach der alten KVA. Die Leitungen sind in Betrieb, weswegen dieser Teil der KVA bis zur Umstellung an das neue Wärmesystem nicht rückgebaut werden. Das neue Piping wird voraussichtlich im Herbst 2022 in Betrieb gehen. Dann erst können die alten Leitungen demontiert werden.

Manchmal kommen bei Rückbau auch Altlasten zum Vorschein, die das ganze Vorhaben weiter verzögern. „Kürzlich wurde im Boden Quecksilber gefunden.“ Die fachgerechte Entsorgung nimmt zusätzliche Zeit in Anspruch.

In vielen Teilschritten zum Rohbau
Der Neubau gleicht einem Puzzle: Überall sieht man Pipelines und neu gebaute Betonmauern mit herausragenden Anschlusseisen, die darauf warten, dass an Ihnen weitergebaut werden kann.

Nebst den Rohbauarbeiten sind auch die Arbeiten der Pipeline-Bauer in vollem Gange. Das endgültige System der Heizzentrale ist aufwändig. Dafür wurde innert der letzten zwei Jahre eine unterirdische Leitung quer durch den Käferberg zum fünf Kilometer entfernten KVA Hagenholz gebaut. Künftig soll die Wärme über diese Leitung zur neuen Energiezentrale geführt, dort wenn nötig nochmals aufgewärmt und dann ins Wärmenetz von Züri West geschleust werden.

Auf der Baustelle haben deswegen momentan die Leitungsinstallateure das Sagen. „Die nächsten zwei Monate habe ich eigentlich nicht mal mehr unseren grossen eigenen 60m Kran zum Arbeiten“, erzählt Rolf, denn die Installation der Pipelines hat gemäss Bauleitung Vorrang.

Bauen im Grundwasser
Eine weitere Schwierigkeit, die es beim Neubau des Betriebsgebäudes zu beachten gibt, ist das vorhandene Grundwasser-Vorkommen.

Als im Regensommer 2021 der Grundwasserspiegel auf Alarmwerte stieg, haben die Bauarbeiter so rasch als möglich so viele Bodenplatten wie möglich erstellt und darüber als Sofort-Massnahme rund 220 Tonnen Kies verteilt, um das Ganze zu beschweren, sonst wäre das Gebäude eventuell durch den erhöhten Grundwasserspiegel hochgedrückt worden.

Bauführer Godi Kessler ergänzt: „Wir müssen teils auch wirklich zuerst Bodenplatten erstellen, bevor rückgebaut werden kann. Im Bereich des alten Gebäudeteils, der jetzt noch sichtbar ist, hat einer unserer Subunternehmer zum Beispiel die zwei Verbrennungsöfen à je 60 Tonnen ausgebaut. – Das ist dann schon Gewicht, das einen Unterschied macht. Wir wiederum haben Tonnen an dicken Eisen mit dem alten Hallenkran reingehoben und verbaut. Davon sieht man heute gar nichts mehr.“

Das bestehende dritte Untergeschoss der alten KVA wurde zudem gleich komplett mit Beton verfüllt. „Ein Rückbau wäre zu komplex gewesen, und da es das Gewicht sowieso brauchte, entschied sich die Bauleitung für diese unkonventionelle aber durchaus sinnvolle Lösung“, erklärt Rolf. 100 Kubikmeter Flüssigbeton hätten sie extra dafür benötigt.

Ein komplexes Raumprogramm
Während wir beim Baustellenrundgang gemeinsam durch die verschiedenen Technikräume immer mal um dicke Pipelines und Leitungen herumlaufen, versuche ich die Orientierung nicht zu verlieren. „Als ich hier angefangen habe, habe ich mich fast nicht zurechtgefunden, weil es hier so viele Räume gibt. Inzwischen kenne ich mich genauso gut aus wie Zuhause“, grinst Rolf. „Schau, da unten ist der alte Schlackenbunker, zehn Meter tief. Da unten bauen wir neue Öl-Tank-Räume. Da muss eine Bodenplatte rein, links und rechts werden wir einhäuptige Wände erstellen und dann einen Deckel darüber machen.“

„Da drüben ist das neue Wasserauffangbecken, 40 Meter tief. Wir mussten sogar das Kranseil verlängern, damit wir runterkamen. Sollten einer oder alle sechs der Wassertanks jemals bersten, würde das Wasser hier hineinlaufen. Die Wände haben wir alle einhäuptig betoniert mit 80cm Dicke.“

Schalen unter schwierigen Verhältnissen
Inmitten des alten Gebäudes, dicht neben Pipelines bauen Bararbeite mit Aluschalungen ein neues Treppenhaus. Es geht nur langsam vorwärts. Denn der Kran kann hier nicht benutzt werden. „Wir müssen alle Schalungselemente von Hand heben. Deswegen verwenden wir Aluminiumschalungen und müssen somit in zwei Etappen arbeiten, denn die Aluminiumschalung ist nur 2.70 hoch“, erklärt mir Rolf.

Ein paar Meter weiter türmen sich Rohre über Rohre. „Darüber müssen wir dann eine Decke machen“, erklärt Rolf kopfschüttelnd. „Die Lösung ist eine echte Herausforderung. Vermutlich werden wir es mit einer speziellen Deckenschalung und Betonelementen ausführen.“

„Hier drüben haben wir nur sieben Zentimeter neben diesem Elektroschrank. Da weiss ich noch nicht genau wie wir so nah daran eine Wandscheibe machen sollen, eventuell mit einer Spaltschalung.“ Rolf zuckt die Schultern. Dieses Problem wird er zu gegebener Zeit lösen. Erst mal steht anderes an.

Ein Mann für alle Fälle
Polier, Rolf Flückiger, ist nun seit fast zwei Jahren auf der Baustelle. Er ist zuständig für alles, was den Neubau betrifft, partiell auch für kleine Details beim Rückbau. Als Polier macht er bereits seit Jahren nur noch Sanierungen, weil er das viel spannender findet als Neubauten. Für Bauführer Godi Kessler ist klar: „Rolf ist die Idealbesetzung für diese Baustelle.“ Egal, wie knifflig das Problem auch ist, ihm fällt immer etwas ein.

Manchmal nimmt der Polier auch schon mal mit der Bauingenieurin direkt Kontakt auf und löst eine aktuelle Problemstellung gleich gemeinsam. „Da kann ich auch gleich deponieren, wie ich das mit der Schalung am liebsten machen würde“, nickt Rolf Flückiger erfreut.

An diesem Donnerstag, 16. Juni ist es verhältnismässig ruhig auf der Baustelle. „Weil der Aregger nicht da ist“, grinst Rolf. Die Luzerner feiern Fronleichnam. „Heute habe ich Narrenfreiheit“, scherzt Rolf. Diese nutzt er zum Betonieren. In Kürze wird der Rückbauer auf dem Areal damit beginnen die dunkle Verkleidung an dem alten Gebäude abzureissen. „Dann hat es für uns wieder keinen Platz mehr und wir müssen woanders weitermachen.“ Denn momentan geniesst der Rückbauer Priorität auf Platz, da er ja eigentlich bereits fertig sein sollte. Das Verhältnis unter den Polieren ist aber sehr partnerschaftlich. Es gibt alle 14 Tage eine Sitzung, auf welcher man Absprachen tätigt und das Programm für die nächsten 15 Wochen festlegt.

Stück für Stück führt Rolf zusammen mit seinen fünfzehn Bauleuten, 4 Kränen und einem Manitou das Puzzle zusammen, das schon in naher Zukunft eine Energiezentrale von 54 Metern Länge und 32 Metern Breite mit diversen Nebenräumen werden soll: Mit viel Geduld, guten Nerven und einem langen Schnauf, der ihm ganz sicher auch deswegen gelingt, weil er seinen Job gerne macht. Das sieht und spürt man.

 

Die neue Energiezentrale:

Bauherr:                       Stadt Zürich
Baumeister:                  Anliker AG
Rückbau:                      Aregger AG
Bauzeit:                        2018 – 2023
Total Beton:                  6000m3
Total Bewehrung:         915‘051 kg

 

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