21. Oktober 2021

Ein Tunnel für das Hochwasser

In der Region Sarnen entsteht zwischen dem Sarnersee und Alpnach ein Hochwasserentlastungsstollen. Knappe 2 Kilometer davon sind bereits ausgebohrt. Dabei wird die 150 Meter lange Tunnelbohrmaschine der ARGE Marti HWS immer wieder vor neue Herausforderungen gestellt. Denn bei den Bohrungen treten immer wieder Wassereinbrüche auf.

Die Obwaldner werden es nie mehr vergessen: Im August 2005 stand Sarnen unter Wasser. Auch Sachseln, Giswil, Kägiswil und Alpnach wurden von den Überschwemmungen heimgesucht. Die Schäden in der Region betrugen rund CHF 250 Mio. – Der Kanton Obwalden begann umgehend mit der Lösungssuche, wie eine zweite solche Katastrophe künftig verhindert werden könnte.

Hochwasserentlastungsstollen im Bau

Verschiedene Massnahmen zur Hochwassersicherheit im Sarneraatal wurden entwickelt, beschlossen und vom Volk an der Urne verabschiedet. Das Herzstück davon: Der Hochwasserentlastungsstollen zwischen dem Sarnersee und Alpnach. Im Februar 2018 starteten die Vorbereitungsarbeiten für den Stollen, der künftig Hochwasser aus dem Sarnersee ableiten soll. Ein Jahrhundertprojekt, denn der zu erstellende Tunnel ist rund 6,5 Kilometer lang, beginnt in Sachseln am rechten Ufer des Sarnersees, führt unter der Grossen Melachaa hindurch und schliesst in Alpnach unterhalb des Wichelsees an die Sarneraa an. Die ARGE Marti HWS, bestehend aus der Marti Tunnel und Marti Luzern übernahm als Totalunternehmerindie Arbeiten am Stollen.

Baugrube in Flussnähe

Im August 2018 startete das Team von Marti Luzern mit den Arbeiten an der Baugrube für das Auslaufbauwerk in Alpnach. Hier würde später die Tunnelbohrmaschine ihre Arbeit aufnehmen. Eine Baugrube von 80 Metern Länge und 20 Metern Breite, die parallel zum Fluss Sarneraa liegt. Die Geologen prognostizierten dafür Felsvorkommen. Entsprechend wurden die Budgetierung und der Zeitplan erstellt. «Statt Fels aber erwartete die Bauarbeiter grundwassergesättigtes Lockergestein mit grossen, harten Blöcken. – Die Baugrube musste damit komplett neu geplant und berechnet werden. Anstelle einer Spundwand musste eine verankerte Wand mit überschnittenen Bohrpfählen erstellt werden. Damit verzögerte sich das Jahrhundertbauprojekt bereits zu Beginn um ein ganzes Jahr,» erklärt Projektleiter Daniel Fanger vom Kanton Obwalden beider Besichtigung vor Ort.

190 Meter lange Startröhre für die TBM

Von der Baugrube aus ersteltlen Mineure in konventioneller Sprengarbeit die 190 Meter lange Startröhre für die Tunnelbohrmaschine. Nach der Montage der TBM vor Ort begannen am 2. Dezember 2020 mit dem «Andrehen» die ersten Fräsversuche und Abstimmungen vor Ort. Ab Januar 2021 ging es dann richtig los. Ab jetzt sollte sich die Tunnelbohrmaschine mit einer Geschwindigkeit von 20 Metern pro Tag durch den Berg fressen. Gearbeitet wird auf der Tunnelbaustelle im 2-Schicht-Betrieb, wie Daniel Fanger erklärt. «Mit dieser Geschwindigkeit sollte die TBM den 6,5 Kilometer langen Stollen innerhalb von eineinhalb Jahren schaffen, dachten wir.»

1'200 Tonnen Vorschub

Die Tageshöchstleistung der Tunnelbohrmaschine liege bislang bei 23 Metern, erzählt Fanger. Gearbeitet wird mit einer Gripper-Maschine, die sich mit 3'000 Tonnen gegen den Berg verspannt und den Maschinenkopf mit einer Vorschubkraft von 1'200 Tonnen vorwärts presst. Durch das Drehen des Bohrkopfes wird der Fels gelöst und durch die Räumerschaufeln zum Förderband transportiert. Das Förderband fährt das Ausbruchmaterial aus dem Berg. Unmittelbar nach dem Schild werden Anker, und wo nötig Metallnetze versetzt. Im hinteren Bereich verteilt ein Roboter Spritzbeton und erzielt damit eine feste Auskleidung. Auf der Sohle werden fortlaufend Sohltübbing-Elemente versetzt. Ein Multifunktionsfahrzeug transportiert die notwendigen Materialien immer genau zur richtigen Zeit an den richtigen Ort.

Wassereintritte erschweren Bauarbeiten

Während in Sachseln bereits das Einlaufbauwerk und die 90 Meter lange Zielröhre für die Tunnelbohrmaschine erstellt wurde, begannen die Bauarbeiter im Stollen zunehmend mit Schwierigkeiten zu kämpfen. «An Pfingsten 2021, bei rund 1,35 Kilometern hatten wir plötzlich mit massiven Wassereintritten zu kämpfen. Rund 200 Liter Wasser pro Sekunde flossen da aus dem Fels. Havariepumpen pumpten das Wasser von der Röhre in die Sarneraa» erinnert er sich. «Geologische Untersuchungen machten uns Hoffnungen, dass sich das Problem innert eines alben Tages aber selbst erledigen würde. Also liessen wir die Bauarbeiten über die Feiertage ruhen und kehrten nach Pfingsten hoffnungsvoll auf die Baustelle zurück. – Esfloss jedoch kein Liter weniger.» Was jetzt?

Bohren im Blindflug

Trotz Wassereintritt entschloss man sich im Vortrieb weiterzumachen. Die Wassereinbrüche stiegen nun auf 350 Liter pro Sekunde. Wasser vermischte sich mit dem abzuführenden Gestein, es tropfte ständig vom Gesteinsförderband auf die Bauarbeiter.Vorne bei der Tunnelbohrmaschine spritzte das eintretende Wasser alles voll und erschwerte die Arbeiten. Man entschloss sich die Leistung der Havariepumpen auf 1'200 Liter pro Sekunde zu steigern. Was wenn noch mehr Wasser kommen würde? Fanger erinnert sich gut an diese unsichere Zeit. «Als wir die wasserführende Zone angefahren haben, wussten wir nicht, was jetzt passieren würde. Falls plötzlich ein ganzer Kubikliter Wasser pro Sekunde kommen würde, wäre die Tunnelbohrmaschine innert drei Stunden komplett unter Wasser gestanden und die ganze Installation wäre kaputt gegangen.» Die Reparatur hätte vermutlich mindestens ein halbes Jahr gedauert und zu weiteren Verzögerungen geführt.

Sondierbohrungen und Tracer-Versuche

Mittels Einfärbungsversuchen am nahe gelegenen Wichelsee konnte festgestellt werden, dass ein Grossteil des Wassers durch eine Felskluft beim See in den neu erstellten Stollen einlief. Mittels Sondierbohrungen um den Bohrkopf gelang es zwei Drittel des vorhandenen Wassers abzuleiten. «Am Schluss hatten wir noch 60 Liter vorne in der Brust, und konnten weiterbohren.» Trotzdem seien die nächsten Meter aufwändig gewesen. Alle paar Zentimeter mussten Reinigungsarbeiten am Bohrkopf vorgenommen werden. Entsprechend langsam kamen die Arbeitendurch die Störzone voran.

Herausfordernde geologische Unterschiede

Im September 2021 gibt es noch immer Wassereinbrüche, die man jedoch grösstensteils gut im Griff hat. Während Daniel Fanger mir und den Baukadern der Sektion Unterwalden an diesem Septemberabend die Baustelle zeigt, erzählt er uns mehr über die Geologie am Hochwasserentlastungsstollen. «Die ersten 2,2 Kilometer der Ausbohrungen bestehen aus Schrattenkalk. Ein gutes Material, das für die Betonherstellung wiederverwendet werden kann. Nach 2'200 Metern durchfahren wir Schiefer- und Mergelzonen. Dieses Material wird später für die Seeschüttung im Alpnachersee verwendet. Damit werden Flachwasserzonen und naturnahe Uferbereiche geschaffen.» Denn das Hochwassersicherheitsprojekt Sarneraa besteht nicht nur aus dem Regulierungsstolen. Es braucht das optimale Zusammenspiel verschiedener Massnahmen. So wird zum Beispiel auch die Sarneraa mit Überlaufzonen verbreitert und ein Schlauchwehr wird eingebaut. Das aber sind andere Baustellengeschichten, die noch nicht geschrieben sind.

www.hochwasserschutz.ow.ch

 

TEXT: Anita Bucher

BILDER: Kanton Obwalden / Marti Tunnel

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